Ein schlechter Text
Artikel in der Tageszeitung junge Welt über die MEZ-Veranstaltung "Die Partei Die Linke vor ihrem Europaparteitag" am 13. Januar 2014
Mitte Februar verabschiedet die Die Linke auf einem Parteitag in Hamburg ihr Programm für die Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai. Seitdem die SPD verkündete, vor einer möglichen Zusammenarbeit mit den Linksgenossen müßten die ein positives Verhältnis zur EU finden, verlautet in den täglich neu aus der Partei heraus aufmunitionierten Mainstreammedien mit gewisser Monomanie: Bei den Linken stehen in dieser Frage »Praktiker« gegen »Wutreden« (Zeit online), »Reformerflügel« gegen »Radikale« (ZDF-»heute journal«). Diese Einteilung war auch in der Berichterstattung über eine sehr gut besuchte Veranstaltung der Europäischen Linkspartei (EL) am vergangenen Sonntag in der Berliner Volksbühne das am meisten strapazierte Klischee. Der »Jahresauftakt« wurde unter dem Titel »Für Europa ohne Bankenmacht – Friede den Hütten!« vom Linke-Bundestagsabgeordneten und EL-Schatzmeister Diether Dehm organisiert. Die Reportagen in den Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF waren ausführlich, in der gedruckten Presse herrschte allerdings Säuerlichkeit vor. Offensichtlich war man auf Krach eingestellt und über dessen Ausbleiben enttäuscht. So gab es Geschimpfe über eine »Wohlfühlveranstaltung« (Die Welt), »Wutreden« und »linke Nostalgie« (Zeit online) - ohne groß Namen zu nennen. Aufgetreten waren unter anderem Gisela May, Katja Ebstein, Volker Braun sowie Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Katja Kipping, Bernd Riexinger und Sahra Wagenknecht. Offensichtlich waren die »Berichterstatter« informiert, daß die Veranstaltung eine bemerkenswerte Vorgeschichte hatte: Noch drei Wochen zuvor hatten Riexinger und Kipping, später auch Gysi ihre Teilnahme abgesagt. Von der deutschen Parteispitze wurde außerdem auf den als Gastredner in der Volksbühne angekündigten Chef der griechischen Syriza Alexis Tsipras eingewirkt, nicht nach Berlin, sondern im Februar zum Hamburger Parteitag zu kommen. Die Absagen kamen nach jW-Informationen kurz, nachdem der alternative Entwurf für das Europawahlprogramm von Dehm und Wolfgang Gehrcke im Parteivorstand Mitte Dezember elf Stimmen gegen 16 bei zwei Enthaltungen erhalten hatte. Am vergangenen Montag erläuterte Dehm nun gemeinsam mit dem Juristen Kurt Neumann auf einer Veranstaltung des im Oktober 2013 eröffneten Marx-Engels-Zentrums in Berlin-Charlottenburg das Papier. Etwa 40 Zuhörer diskutierten mit beiden zum Teil kontrovers (»Wir müssen im Umgang mit den innerparteilichen Gegnern offensiver werden.«) deren Standpunkte. Neumann wies darauf hin, daß es ähnliche Auseinandersetzungen wie jetzt bereits vor der Bundestagswahl im September 2013 gegeben habe. Aus dem Apparat der Linkspartei heraus habe es damals Widerstand gegen Auffassungen zu EU und deutscher Kriegsbeteiligung gegeben, die im Grundsatzprogramm der Partei festgehalten seien. Beim Entwurf des Europawahlprogramms habe sich das wiederholt: Herausgekommen sei »ein schlechter Text mit vielen Fachausdrücken ohne politische Linie«. Dehm wies darauf hin, daß der alternative Entwurf unter dem Titel »Mut für ein anderes Europa« mit »Versöhnung« beginne, nämlich mit einem Lied Kurt Tucholskys, das die Aufforderung enthält, sich über die Gräben des Ersten Weltkrieges hinweg die Hände zu reichen. De facto aber sei die EU eine »Kriegsanlage gegen die Völker«. Der Tatbestand könne auf dem bevorstehenden Linke-Parteitag aus seiner Sicht anders formuliert werden, aber richtig bleibe: Die EU sei unter anderem auf ein »Aufrüstungsgebot« gebaut. Der Redner wies Vorwürfe zurück, er vertrete »Nationalbolschewismus« oder »Linksnationalismus« und verwende eine »monströse Sprache«. Ihm gehe es um den Erhalt der Verfassungen europäischer Länder, die von Antifaschismus geprägt seien wie in Italien oder auch das Grundgesetz. In der Bundesrepublik gelte zum Beispiel der Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen, auf EU-Ebene sei das nicht durchsetzbar. Das Europaparlament dürfe nur über das entscheiden, was die EU-Regierungen ihm vorgeben. 83 Prozent aller Gesetze entstünden so unter Aufhebung der Gewaltenteilung. Eine Breitenwirkung linker Kräfte für revolutionär-demokratische Veränderungen werde es aber nur bei Ausbau, nicht bei Abbau des Rechtsstaates geben. Wählerstimmen seien dafür nötig, wichtiger aber sei der außerparlamentarische Rahmen, um »Europa von unten zu gestalten«.
Erschienen am 15. Januar 2014 in der Tageszeitung Junge Welt
von Arnold Schölzel