Der Fluch der bösen Taten

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Die Sitzung des Europäischen Rats am 23. Juni 2022 sollte eigentlich ein „Festtag“ für die EU werden. Mit Moldawien und der Ukraine verlieh man gleich zwei Ländern den Kandidatenstatus, von denen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt, dass sie fest zur Europäischen Familie gehören – ein Wort, das viel über die EU selbst aussagt, wird doch damit ein Land wie die Ukraine, das von Korruption zerfressen ist, jegliche Opposition unterdrückt und kritische Medien verbietet, als „hervorragend zur Union passend“ beschrieben.

Doch verhagelt wurde der EU ihr „Festtag“ vom Auftritt der sechs Chefs jener Balkanstaaten, die sich um die Aufnahme in die Union bemühen - und das oft schon seit langem. Albanien wurde etwa vor acht Jahren Beitrittskandidat und Nordmazedonien wartet bereits seit siebzehn Jahren. Ähnlich geht es Serbien, Montenegro und dem Kosovo.

„Willkommen an die Ukraine“, sagte denn auch Edi Rama, der albanische Ministerpräsident laut FAZ vom 24. Juni in Brüssel: „Ich hoffe, dass sich das ukrainische Volk nicht viele Illusionen darüber macht.“ Und er fügte sarkastisch hinzu: „Wladimir Putin mag sehr krank sein, aber dieser Ort hier sieht auf jeden Fall nicht besonders gesund aus.“

Warum geht es bei der Aufnahme der Balkanstaaten in die EU nicht voran? Weshalb droht ihr hier eine beispielhafte Blamage? Als Grund dafür verweist Brüssel gern auf die Staaten dieser Region: Zunächst blockierte Griechenland lange den Beitritt Mazedoniens, erst die Umbenennung in Nordmazedonien machte den Weg frei. Dann war es Bulgarien, das mit seinem Veto bei einem Beitritt Albaniens und Nordmazedonien drohte. Und vor allem sind da noch Serbien und das Kosovo, die sich gegenseitig nicht anerkennen.     

Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Tatsache ist, dass dem Westen auf dem Balkan heute die Probleme wiederbegegnen, die der Zerfall Jugoslawiens in den 1990er Jahren hinterlassen hat, und an dem NATO und EU ihren gehörigen Anteil haben. Schließlich war es Deutschland, das mit der Anerkennung von Kroatien und Slowenien eine gesamtjugoslawische Krisenlösung verhinderte. Durch die vom Westen erzwungene Abtrennung des Kosovo von Serbien schuf man die Grundlage für eine unerbittliche Feindschaft zwischen den beiden. Das zuvor als Teil Jugoslawiens existierende kleine Mazedonien weckte erst nach seiner Unabhängigkeit die Begierde gleich dreier Staaten: Von Griechenland, Bulgarien und Albanien. Und ob das innerlich zwischen Bosniern, Kroaten und Serben zerrissene Bosnien-Herzegowina jemals EU-Mitglied werden wird, ist mehr als ungewiss. Es ist also der Fluch der bösen Taten des Westens, dem die EU bei ihrer Westbalkanpolitik heute wiederbegegnet.

 

Der Artikel erschien in gekürzter Fassung am 1. Juli 2022 in der Zeitung Unsere Zeit

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