Nachfragemangel im Agrarbereich - Debatte über Armut, den landwirtschaftlichen Weltmarkt und Grüne Gentechnik
Bericht über das MEZ-Seminar "Wie kann der Hunger in der Welt besiegt werden?" am 28. Mai 2016
Wie kann der Hunger in der Welt besiegt werden? Auf diese Frage suchte ein Seminar des Marx-Engels-Zentrums für linke Politik und Theorie in Berlin Antworten.
Noch immer können sich 800 Millionen Menschen nicht ausreichend ernähren. Laut aktuellen Zahlen der Welthungerhilfe haben beispielsweise 32,2 Prozent der Bevölkerung im afrikanischen Subsahara-Gebiet und 29,4 Prozent der Bewohner Südasiens weit weniger als 1800 Kilokalorien pro Tag - die Mindestanforderung der UN-Ernährungsorganisation FAO fürs Überleben - zur Verfügung.
Die Hauptursache dafür sieht die Agrarökonomin Erika Czwing in der Armut. Immer noch müssten 836 Millionen Menschen von weniger als 1,25 Dollar pro Tag leben. Darum wehrt sie sich gegen das Gerede von Überproduktion im Agrarbereich: "Wir haben eine Nachfragemangelkrise, weil Millionen Menschen kein Geld zum Kauf von Nahrungsmitteln haben", meint Czwing. Dieses Problem werde sich potenzieren, denn die Weltbevölkerung wachse nach Prognosen bis 2050 auf knapp 10 Milliarden, vor allem in den ärmsten Ländern.
Armut aber wird auch durch die reichen Länder des Westens exportiert. "Wir nehmen mehr von den Entwicklungsländern, als wir geben", betont die Expertin. Eine Form der Ausbeutung sei, dass sie zu wenig Geld für ihre Produkte erhalten. Warum sind Bananen aus dem globalen Süden hierzulande billiger als einheimische Äpfel? Ein geradezu groteskes Beispiel: Deutschlands Kakaoexport ist höher als der Import. Es kauft zu Billigpreisen Kakao auf dem Weltmarkt und verkauft verarbeitete Erzeugnisse zu hohem Preis. Zudem: Über den Export subventionierte Produkte aus Europa ruinieren bekanntlich Bauern in der Dritten Welt.
Um die Nahrungssicherheit zu gewährleisten, hält die FAO eine Steigerung der Agrarproduktion um 70 Prozent für notwendig, vor allem in den Entwicklungländern. Wichtigster Wachstumsfaktor ist für Ökonomin Czwing "die Wissenschaft und ihre breite Anwendung durch moderne, den jeweiligen Standortbedingungen angepasste Technologien und Produktionssysteme". Für Afrika bedeute das, sie den kleinbäuerlichen Strukturen anzupassen. Investitionen durch Entwicklungshilfe oder ausländische Unternehmen gehören streng kontrolliert, damit das Solidarprinzip über die Profitgier großer Konzerne siegt.
In diesem Zusammenhang gibt es auch unter Linken eine Kontroverse über den Einsatz der grünen Gentechnik. Die Molekulargenetikerin Marianna Schauzu meint, diese ermögliche es, schneller, präziser, preisgünstiger und über Artengrenzen hinweg Pflanzen zum Wohle von Mensch und Tier zu verändern, was durch konventionelle Züchtung nur innerhalb einer Art und in bis zu 25 Jahren gelinge. Agrogentechnik sorge für erhöhten Ertrag, die Einschränkung des Herbizid- und Insektizideinsatzes, für Virusresistenz der Pflanzen, Einsparungen menschlicher und maschineller Arbeit sowie höhere Gewinne für die Bauern.
Schauzu nannte viele, nicht unumstrittene Beispiele: den in Deutschland nicht zum Anbau zugelassenen Bt-Mais mit seiner Maiszünsler-Resistenz, die gentechnisch veränderte Sojabohne mit Herbizidresistenz, die auf zig Millionen Hektar in USA, Brasilien und Argentinien angebaut wird, virus- oder insektenresistentes Gemüse und Getreide mit mehr Vitaminen und Spurenelementen oder Bt-Baumwolle, vor allem in den Antwicklungsländern angebaut. Öko- und Agrolandwirtschaft würden hier verbunden.
Doch viele Fragen bleiben. Es gibt ethische Bedenken, inwieweit der Mensch in die Natur eingreifen darf. Wie ist die Langzeitwirkung der Agrogentechnik auf Pflanze, Tier und Mensch, da sich schon jetzt resistente Schädlinge und Unkräuter vermehrt haben? Die Konzerne der Pflanzenschutzmittel- und Saatgutindustrie, allen voran Monsanto, wollen Patente für genverändertes Saatgut - auch sie drängen Bauern in den Entwicklungsländern längst in Abhängigkeit und in den Ruin.
Rosi Blaschke
Aus der Tageszeitung Neues Deutschland vom 31. Mai 2016