Ausdruck einer gesellschaftlichen Tiefenströmung
- Andreas Wehr
Man sollte sich nicht täuschen: Die Wahl von Donald Trump ist nicht nur eine schmerzhafte Niederlage des Establishments der USA. Sie ist eine Wende. Sie stellt den Beginn des Endes der Globalisierung dar, zumindest so wie wir sie kennen.
Nach Überwindung des ersten Schocks wird das Ergebnis jetzt kleingeredet: „Nie wird etwas so heiß gegessen, wie es gekocht wurde“. Trump werde schließlich nicht alleine regieren, nicht weniger als 2.900 Mitarbeiter werden ihn umgeben, die werden ihn beraten und mäßigen. Und da sind ja noch die republikanischen Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats sowie die Gouverneure.
Es wird auf Trumps stümperhafte und unzusammenhängende Ansichten in der Außenpolitik verwiesen, die noch kein Urteil über den weiteren Weg zulassen. So will er das Nuklearabkommen mit dem Iran aufkündigen, zugleich aber das Verhältnis zu Russland verbessern. Er will den IS vernichten, aber auch das US-Militär nach Hause holen. Er will das „Land wieder groß machen“, internationale Abkommen, die die USA der übrigen Welt erst abgepresst hatten, sollen zugleich aufgekündigt werden. Kaum etwas passt da zusammen. Bei so viel Konfusion gebe es Hoffnung, so heißt es, dass sich das Etablierte wieder durchsetzen werde, schließlich sei es ja alternativlos. Und auch das Verhältnis zwischen der EU und den USA werde nicht Schaden nehmen. Zwar wird TTIP mit diesem Präsidenten nicht zu machen sein, doch war es ja schon vorher tot, da in Europa nicht durchsetzbar.
Diese Optimisten übersehen, dass die Wahl von Trump nur der sichtbarste Ausdruck einer gesellschaftlichen Tiefenströmung ist, die weder erst seit gestern existiert noch auf die USA beschränkt ist. Es ist die breite Unzufriedenheit mit einer Ordnung, die Millionen Menschen aus einstmals halbwegs gesicherten Verhältnissen geworfen und sie zu Parias gemacht hat, die die Umbrüche bewirkt. Morgen werden womöglich Le Pen, Wilders und andere in Europa von ihr profitieren. Auch die Entscheidung der Briten für den Brexit gehört dazu. Es ist übrigens kein Zufall, dass die Ideologie der neoliberalen Globalisierung jetzt in jenen Ländern scheitert, in denen sie unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan als erste gesiegt hatte. Die sozialen Verwüstungen sind dort am größten.
Die Strömung gegen die neoliberale Globalisierung wurde weder von Trump noch von der europäischen Rechten erzeugt, noch kann sie von ihnen gesteuert werden. Sie nutzen sie lediglich geschickt. Schnell aber können sie von ihr verschlungen werden, sollten sie für die „da unten“ nichts tun. Der Erfolg von Bernie Sanders hat gezeigt, dass selbst in den USA Linke erfolgreich sein können. Nicht wenige seiner ehemaligen Wähler haben jetzt, mangels Alternative, Trump gewählt. Eines Tages könnten sie sich aber wieder nach links wenden.
Die europäischen Rechtspopulisten profitieren von Trumps Erfolg. Das ist die wichtigste Botschaft der Präsidentenwahl für Europa. Damit ist für Brüssel der Handlungsspielraum erneut enger geworden, denn was in den USA die Ablehnung des Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko ist, das stellt in Europa der Widerstand gegen die EU dar. Beide sind regionale Formen der Globalisierung, gegen die man sich wendet.
Was kommt auf Europa jetzt zu? In der Frage von Krieg und Frieden hat sich Trump gegen eine Verschärfung der Konfrontation mit Russland ausgesprochen. Anders Clinton, die angekündigt hatte als Präsidentin eine Flugverbotszone über Syrien zu verhängen. Die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes der Supermächte wäre damit gewachsen. Auch der Konflikt der beiden Mächte um die Ukraine könnte jetzt unter Trump beruhigt werden. Insgesamt ist der Spielraum jener, die an einer Deeskalation der Lage in beiden Weltregionen interessiert sind, größer geworden.
Trump mangelt es sicher nicht an Unkenntnis, Brutalität und Rücksichtslosigkeit, um als Präsident den bekannten und gefürchteten „Weltpolizisten USA“ abzugeben. Doch er wird sich entscheiden müssen, ob er die imperialistische Politik seiner Amtsvorgänger fortsetzen oder eine neue Sozialpolitik im Land betreiben will. Beides zusammen geht nicht. Dafür mangelt es den USA an ausreichenden Ressourcen.
Veröffentlicht in der Tageszeitung Neues Deutschland am 12.11.2016