Brauchen wir eine linke Tageszeitung?

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Ohne Zweifel ja! Fehlt die tägliche Information über die von anderen Medien verschwiegenen Ereignisse und fehlt die kritische Reflexion des Geschehens wird es keinen Wiederaufschwung der gesellschaftlichen Linken geben können. Die Tageszeitung junge Welt (jW) erfüllt diese Aufgaben aber leider schon lange nicht mehr. Mein seit Jahren bestehendes Abonnement habe ich daher gekündigt.

Eine linke Tageszeitung soll, ja muss sogar zu den unter Linken kontroversen Fragen eigenständige und selbst provokante Positionen einnehmen. Dann hat sie aber auch Gegenrede und Widerspruch auszuhalten. Das aber kann die junge Welt nicht. Auf die Forderung von Unterstützern der jW nach Auskunft über ihr Verhalten - dokumentiert im Aufruf „Wir wollen Transparenz, junge Welt!“[1] reagierten Redaktion, Verlag und Genossenschaft beleidigt und mit groben Worten.[2] Der Aufruf wird als Angriff auf die Zeitung gewertet. Die Rede ist von „Demagogie und Verleumdung gegen unabhängige Presse“,  von „falschen Tatsachenbehauptungen, Unterstellungen und  Halbwahrheiten“, an anderer Stelle wird von „ Behauptungen und Lügen“ gesprochen. Selbst das Wort „Hetze“ ist gefallen.  

Wer so antwortet, zeigt seine eigene Unsicherheit sowie einen Mangel an Souveränität. Keine bürgerliche Zeitung würde so mit Kritik an ihr umgehen! Demonstriert wird zugleich der Unwille, in eine Diskussion über den Kurs der linken Kräfte und damit auch über die Ausrichtung der Zeitung überhaupt eintreten zu wollen. Doch gerade über den Kurs der jungen Welt gäbe es viel zu diskutieren!

Etwa über ihre Unterstützung, ja geradezu Hofierung anarchistischer Kräfte bei den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg - ein Ereignis, das nicht zuletzt von konservativen und neoliberalen Kräften angefeindet wurde, da es Russland und China Gelegenheit zur Darstellung ihrer Positionen bot. Die jW war mit einem von ihr beschworenen „Hamburger Aufstand“ aktiv, um das Treffen zu verhindern. Ein Vorgehen, das übrigens in krassem Widerspruch zur sonst konstruktiven Haltung der Zeitung gegenüber Russland und China stand!

In der Migrationsfrage hat die jW früh die Stellung eines Kampfblattes der Vertreter der Position „No Border - No Nation“ bezogen. Dem entsprechend hat sie sich in der Kampagne gegen Sahra Wagenknecht auf die Seite von deren Gegnern gestellt. Über ihre unsägliche Diffamierung in der jW sagte Thomas Metscher zurecht: „Wenn ich sehe, wie mit einer Person wie Sahra Wagenknecht, der sicher stärksten Gestalt der politischen Linken in Deutschland, umgegangen wird, nicht zuletzt auch in einem publizistischen Medium wie der Jungen Welt, dann erfasst einen das nackte Grauen“.[3]

In der Debatte, wie der Kampf gegen die zunehmende Rechtsentwicklung und Entdemokratisierung in der Bundesrepublik zu führen ist, beschränkt sich die jW ganz auf den Angriff der von ihr unisono als „faschistisch“ beschriebenen rechtspopulistischen Kräfte. Ihre Faschismusanalyse beruht auf den Arbeiten der Frankfurter Schule, in denen die entscheidende Rolle des Monopolkapitalismus bei der Durchsetzung faschistischer Herrschaftsformen geleugnet wird. Werner Rügemer hat die entsprechenden Artikel in der jW, ein wenig salopp aber durchaus treffend, als „Adorno-Geplapper“ bezeichnet.

Die jW ignoriert, dass die Hauptgefahr für die Demokratie heute von der gesellschaftlichen Mitte ausgeht. Diese ist es, die gebieterisch nach moralischer Konformität und damit nach Zustimmung zu ihrer Politik verlangt. Missliebige Positionen werden unter dem Vorwand der "Political Correctness" aus der gesellschaftlichen Diskussion ausgegrenzt: So wird die Ablehnung einer Migrationspolitik, die zum Zustrom billiger Arbeitskräfte und zum Braindrain von Qualifizierten aus den Herkunftsländern führt, als Rassismus diffamiert. Gegner des Abbaus demokratischer Rechte unter dem Siegel der Europäisierung werden als rückwärtsgewandte Nationalisten abgetan. Und Kritiker der herrschenden Umweltpolitik, die die Kosten der „Rettung der Erde“ auf die unteren Klassen abzuwälzen gedenkt, werden als „Klimaleugner“ stigmatisiert.

Tatsache ist, dass die junge Welt zu all diesen Angriffen auf die demokratische Kultur des Landes nicht nur schweigt, sie ist vielmehr längst selbst Teil der kulturalistischen Pseudolinken geworden, die die Positionen des Mainstreams in die gesellschaftliche Linke trägt. Deutlich wurde dies durch ihre Unterstützung der Demonstration „Unteilbar“ am 13. Oktober 2018 in Berlin. Eine Veranstaltung, zu der auch der SPD-Politiker Heiko Maas aufgerufen hatte!

Die Selbstdarstellung der jungen Welt als eine weiterhin dem Klassenkampf verpflichtete marxistische Zeitung ist heute nur noch eine verblassende Reminiszenz an die Vergangenheit, ein bröckelnder roter Anstrich! Eine solche Zeitung brauche ich nicht.        

Marianna Schauzu
Mitbegründerin des Marx-Engels-Zentrums Berlin

 

[1] Wir wollen Transparenz, junge Welt!, 04.07.2019, https://www.jungewelt.de/serveDocument.php?id=147

[2] Kurswechsel? Njet!, in: junge Welt online extra, 09.08.2019, https://www.jungewelt.de/artikel/360867.html

[3] Interview mit Thomas Metscher, in: Telepolis, 18.05.2019,
  https://www.facebook.com/telepolis.de/posts/10157531624153923

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