Die Bewegung der Gelbwesten: Was lehrt sie uns?

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Die Bewegung der Gelbwesten scheint aus dem Nichts gekommen zu sein. Und niemand kann heute sagen, ob sie eine Zukunft hat. Zerfällt sie wieder nachdem sie ihre wichtigsten Ziele erreicht hat? Oder sehen wir hier den Beginn einer Bewegung, die sich organisieren und womöglich zu einer Partei werden wird? Schon jetzt steht fest: Die Gelbwesten haben es im Unterschied zu den Gewerkschaften und den linken Parteien geschafft, der französischen Regierung Zugeständnisse abzuringen. Der Nimbus Macrons, des angeblichen Erneuerers Frankreichs, hat erheblichen Schaden genommen, auch im Ausland.

Die Gelbwesten – rechts oder links?

Wer aber sind die Protestierenden, die sich die gelben Warnwesten überziehen? "Es handelt sich eher um die ῾untere Mittelklasse῾, die hier auf die Straße geht. Diese Bevölkerungsschicht lebt nicht von staatlichen Einkommentransfers, aber ihr Einkommen hat sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise am meisten verschlechtert."[1] Unklarheit besteht über die politische Ausrichtung der Bewegung. Politik und Medien hatten sie gleich zu Beginn als von Rechtskräften gesteuert dargestellt. Auch DGB-Chef Reiner Hoffmann und der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sahen es so. Diese Bewertung erwies sich jedoch als nicht haltbar: "Von ihrer politischen Orientierung fällt auf, dass sich rund ein Drittel nicht einem Rechts-Links-Schema zuordnen möchte. Die verbleibenden zwei Drittel ordnen sich eher dem linken als dem rechten Spektrum zu."[2]

Eine verfehlte Umwelt- und Verkehrspolitik der Kulturlinken

Um die Proteste verstehen zu können, sollte man auf deren Anlass blicken. Den Zorn löste die geplante Erhöhung der Diesel- und Mineralölsteuern aus. Die Verteuerung von Kraftstoff ist eine Forderung der ökologischen Linken. Der aus dem Umfeld der Sozialistischen Partei kommende Macron griff sie auf. Autofahren soll dadurch weniger attraktiv werden und zugleich will man zusätzliche Finanzquellen erschließen. Dass mit dieser Steuererhöhung ausgerechnet die Streichung der Vermögenssteuer kompensiert werden sollte, brachte das Fass zum Überlaufen.

Auch in Deutschland sorgen ökologisch begründete Forderungen nach höheren Kraftstoffpreisen für Streit. Bereits im Mai 1998 hatten Bündnis90/Die Grünen beschlossen, den Benzinpreis schrittweise auf 5 DM anzuheben. Zwar verschwand diese Forderung damals wieder in der Ablage als die Grünen Regierungspartei wurden, doch die Richtung war damit vorgegeben: Die Umwelt- und Klimarettung soll durch ein verändertes Konsumverhalten erreicht werden. Und das Mittel dafür ist der Preis. Für den Verkehr bedeutet das: Erhöhung der Mineralölsteuern sowie die Einführung von Maut- und Parkgebühren. So soll der Anreiz erhöht werden, mehr das Fahrrad zu benutzen, häufiger zu Fuß zu gehen bzw. auf den Öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Doch die verlangte Verhaltensänderung ist nur in den großen Städten und hier auch nur in deren City machbar. Für die Masse der Bevölkerung die in den Außenbezirken der großen Städte oder auf dem Lande lebt, wo die Mieten für sie noch bezahlbar sind, sind das keine Alternativen. Sie bleiben auf das Auto angewiesen.

Und wie im Verkehr so ist es auch auf anderen Gebieten des Klima- und Umweltschutzes – statt mit Hilfe von Gesetzen, die die Industrie als Verursacher der Schäden mit Verboten und Auflagen belegen, werden die Kosten der Allgemeinheit auferlegt, sie werden sozialisiert. Statt die Automobilindustrie zu zwingen Diesel-PKWs nachzurüsten, sollen die Betroffenen neue, „saubere“ Autos kaufen, sonst drohen ihnen Fahrverbote. Der Verschwendung von Heizungsenergie soll durch Dämmung der Häuser begegnet werden, die selbstverständlich von den Mietern zu bezahlen ist. Und die Kosten für die Energiewende wurden von Beginn an allen Nutzern über einen höheren Strompreis auferlegt. Für die bereits von niedrigen Löhnen, unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten und steigenden Mieten Gebeutelten kommen die ihnen abverlangten Zahlungen für den Klima- und Umweltschutz noch oben drauf.

Die sozial besser Gestellten stören sich an diesen Zusatzkosten kaum. Verbittern muss aber, dass ausgerechnet sie den Armen gern Wasser predigen, selber aber Wein trinken, sind doch ihre Wohnungen deutlich größer als der Durchschnitt und kommt oft noch eine Ferienwohnung hinzu. Sie fahren zwar gern Fahrrad, haben aber weiterhin ein Auto, nicht selten einen benzinschluckenden SUV. Den spritsparenden Kleinwagen nutzt die Ehefrau. Und selbstverständlich verzichtet man dort auch nicht auf Fernreisen. Und so ist kein „ökologischer Fußabdruck“ größer als ihrer. Diejenigen, die den Schutz des Klimas und der Umwelt am lautesten fordern, tragen daher am meisten zu deren Zerstörung bei.

In Frankreich haben die Gelbwesten diesen Widerspruch ans Licht gebracht: „Denken die einen an das Ende der Welt, so wissen wir nicht, wie wir bis zum Ende des Monats kommen sollen.“ Die Proteste sind daher auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Spaltung: Hier die sozial Ausgepowerten, die meist am Rande der großen Städte oder auf dem Lande leben, dort eine großstädtische Kulturlinke[3], die einem kosmopolitischen Lebensstil frönt.

In Deutschland ist die Partei DIE LINKE, zumindest in ihrer Mehrheit, längst Teil dieser Kulturlinken. In ihrer Verkehrspolitik fordert sie, wie auch die Grünen, wohl vehement die Verkehrswende - verlangt wird die Verlagerung der Investitionsmittel weg vom Auto hin zu ökologisch verträglicheren Verkehrsträgern. Dort aber, wo - wie in Berlin - SPD, Linke und Grüne gemeinsam regieren, ist davon wenig zu spüren. Man setzt auf den Ausbau des Radwegenetzes, das ist jedoch nur etwas für Innenstadtbewohner, denn die Entfernungen von der City in die großen Wohnquartiere in den Außenbezirke sind für Radfahrer viel zu groß. In der Innenstadt konzentrieren sich aber die Wähler von Grünen und Linkspartei, und das sind genau jene urbanen Mittelschichten, bei denen Radfahren heute schick ist. Zwar verfolgt man im Berliner Senat zugleich den Ausbau des Straßenbahnnetzes, doch geplant sind nur wenige neue Kilometer, und dies allein in der Innenstadt. Vom dringend notwendigen Bau von U-Bahn-Strecken ist in der Rot-Rot-Grünen Koalitionsvereinbarung von 2016 hingegen nicht die Rede. Selbst seit Jahrzehnten bestehende Lücken im Netz sollen nicht geschlossen werden, und für die Wohnquartiere in den Vororten ist schon gar kein U-Bahn-Anschluss vorgesehen. Für deren Bewohner bleibt das Auto alternativlos. In anderen Städten Deutschlands dürfte es ähnlich sein. Die Verkehrspolitik von Grünen und LINKEN bedient vor allem die eigene Klientel. In Deutschland wie in Frankreich wäre aber stattdessen ein Vorgehen dringend notwendig, das auf breite Zustimmung baut, statt mit hohen Kosten für Energie und Transport vor allem die armen Haushalte zu belasten.

Eine neue, soziale Linke macht sich bemerkbar

In Reportagen über die Gelbwesten ist das Erstaunen groß, dass mit ihnen Menschen sichtbar werden, die man vorher nie meinte gesehen zu haben, schon gar nicht in Paris. Der Aufruhr kommt vor allem aus den abgehängten Landregionen, aus den vergessenen Dörfern und Städten, die unter Deindustrialisierung und Abwanderung leiden. Wer denkt da nicht an Brechts Moritat von Mackie Messer: „Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht“? Für einen historischen Moment sind nun die „im Dunkeln“, die Plebejer, ins Licht und dabei den Herrschenden auf die Füße getreten. Es ist eine neue, soziale Linke, die sich hier lautstark zu Wort meldet. Gemeinsam mit den Gewerkschaften könnte sie in Frankreich in der Lage sein, die Hegemonie der Kulturlinken infrage zu stellen.

Erkennbar wurde zugleich, wie dünn die Legitimationsbasis der Regierung Macron in Wirklichkeit ist. Zwar wurde er im zweiten Wahlgang mit 66,1 Prozent zum Staatspräsidenten gewählt, doch das "beruhte auf einer optischen Täuschung: Der Nichtwähleranteil betrug (...) 57 Prozent, und die 314 Mandate für Macrons Bewegung La République en Marche (LRM) in der Nationalversammlung sind einzig dem Mehrheitswahlrecht zu verdanken, der die stärkste Partei über alle Maßen bevorzugt. Bezieht man die Zahl der Macron-Wähler bei der Abstimmung über die Präsidentschaft allein auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten, lag Macrons Anteil unter 15 Prozent - also auf einem dürftigen Legitimationsniveau."[4]

Die Gelbwesten kritisieren die Mängel dieses Repräsentationssystems vehement: "Gefordert wird nach Schweizer Vorbild die Ausweitung von Möglichkeiten für Volksinitiativen ῾Référendum d’initiative citoyenne῾ (RIC) und Volksabstimmungen ab 700.000 Unterstützer, darüber hinaus sollen die Gehälter der politischen Repräsentanten auf den Medianverdienst begrenzt werden, was eine deutliche Kürzung der Bezüge auf rund 1.800 Euro netto bedeuten würde."[5] Die Gelbwesten liegen damit auf einer Linie mit dem Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Er hatte bereits im Präsidentschaftswahlkampf die grundlegende Demokratisierung des politischen Systems des Landes gefordert. Ziel ist die Ablösung der gegenwärtigen 5. durch eine 6. Republik.

In Deutschland existiert zwar weder ein Präsidialsystem noch kommt das Mehrheitswahlrecht zur Anwendung. Aber auch hier bröckelt die Legitimationsbasis für die herrschende Politik. CDU, CSU und SPD werden immer schwächer - vor allem die Sozialdemokratie erlebt einen beispiellosen Niedergang. Und so wächst die Unzufriedenheit mit dem System der politischen Repräsentation. Die Entstehung der Sammlungsbewegung Aufstehen ist dafür ein Symptom. Um aber erfolgreich zu sein, muss sich die Sammlungsbewegung von der Kulturlinken absetzen und stattdessen die Bedürfnisse der bei uns noch weitgehend unsichtbaren sozialen Linken in den Mittelpunkt stellen.

Der Artikel erschien in der Zeitschrift Theorie & Praxis Ausgabe 48, Januar 2019



[1] Armin Dudin, 'Gelbwesten' in Frankreich – Fortschritt oder Rückschritt? In: Blickpunkt WiSo vom 10.01.2019, https://www.blickpunkt-wiso.de/post/gelbwesten-in-frankreich-fortschritt-oder-rueckschritt--2278.html

[2] Ebenda

[3] Zur Politik der Kulturlinken vgl. Hans-Jürgen Bandelt, Die Kultur-Linke und ihr Problem mit Grenzen, pad-Verlag, 2018

[4] Rudolf Walther, Effizient nachgeben, in: Der Freitag, Nr. 50 vom 13.12.2018, S.6

[5] Armin Dudin, ῾Gelbwesten῾ in Frankreich – Fortschritt oder Rückschritt? a.a.O.

 

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