Die europäische Linke duckt sich weg

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Bei der Abstimmung über eine Entschließung des Europäischen Parlaments, in der Russland als „Terrorstaat“ bezeichnet wird, gab es unter den linken Abgeordneten sowohl Zustimmung als auch Ablehnung – die Mehrheit enthielt sich.

Die Europäische Union steht beim Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland an vorderster Front. Bereits wenige Tage nach dem russischen Angriff gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Ziel aus, die russische Wirtschaft zu zerstören. Bei dieser Mobilmachung gegen Moskau will natürlich das Europäische Parlament nicht fehlen. Zwar besitzt diese Versammlung gar keine außenpolitische Zuständigkeit, doch das hindert sie nicht daran, sich immer wieder mit schrillen antirussischen Zwischenrufen zu Wort zu melden. Erinnert sei hier an die Antitotalitarismus-Resolution des Parlaments vom 18. September 2019, in der Faschismus und Kommunismus gleichgesetzt wurden. Initiatoren waren damals Abgeordnete osteuropäischer Länder, aus Polen, dem Baltikum und Tschechien. [1]

Auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. November 2022 zur „Einstufung der Russischen Föderation als dem Terrorismus Vorschub leistender Staat“ [2] geht auf die Initiative osteuropäischer Abgeordneter zurück. Die Entschließung ist eine bemerkenswerte Ansammlung all jener Verdrehungen, Einseitigkeiten und dreisten Lügen, denen die westliche Öffentlichkeit seit Ende Februar ausgesetzt ist. Es handelt sich um reinste NATO-Propaganda.

Um sich aus der Masse all dieser Pamphlete hervorzuheben, hat nun das Parlament die besondere Forderung erhoben, „Russland als dem Terrorismus Vorschub leistenden Staat und als terroristische Mittel einsetzenden Staat“ einzustufen. Dazu heißt es in Punkt 2 der Entschließung: Das Europäische Parlament „betont, dass die vorsätzlichen Angriffe und Gräueltaten der Russischen Föderation gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine, die Zerstörung ziviler Infrastruktur und andere schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts terroristische Handlungen gegen die ukrainische Bevölkerung darstellen und den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen; (das Parlament, A.W.) bringt seine uneingeschränkte Empörung über diese Angriffe und Gräueltaten sowie die anderen Handlungen zum Ausdruck, die Russland begangen hat, um seine zerstörerischen politischen Ziele in der Ukraine und im Hoheitsgebiet anderer Länder zu verfolgen, und verurteilt diese Angriffe und Gräueltaten; stuft vor diesem Hintergrund Russland als dem Terrorismus Vorschub leistenden Staat und als terroristische Mittel einsetzenden Staat ein (…).“

In der Entschließung geht es nicht alleine um den Krieg in der Ukraine. Die gesamte Außenpolitik Russlands wird angriffen – es geht auch um Belarus, Kuba, den Iran und Syrien. Bereits in den Erwägungsgründen wird gegeißelt, „dass Russland seit vielen Jahren terroristische Regime und Organisationen unterstützt und finanziert, vor allem das Assad-Regime in Syrien, dem Russland Waffen geliefert hat und zu dessen Verteidigung es vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Städte und die zivile Infrastruktur Syriens ausgeführt hat“. Unter Punkt 8 der Resolution heißt esdazu: Das Parlament „verurteilt aufs Schärfste, dass Russland andere Diktaturen unterstützt, die die demokratischen Bestrebungen in der jeweiligen Gesellschaft mit Mitteln des Terrors unterdrücken, insbesondere die Regime von Lukaschenka und Assad, aber auch die Regime im Iran, in Kuba und anderswo.“

Eingebracht hatten den Text alle großen Fraktionen des Parlaments, Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne. Von den insgesamt 704 Abgeordneten nahmen 596 an der Abstimmung teil. 494 stimmten für die Entschließung, 58 dagegen und 44 enthielten sich. Besonders skandalös ist, dass auch die sozialdemokratische S&D-Fraktion zu den Einbringern der Entschließung gehörte. Nur 12 Mitglieder der Fraktion stimmten mit Nein, unter ihnen als einziges deutsches Mitglied der SPD-Abgeordnete Joachim Schuster. Von den Grünen gab es keine einzige Nein-Stimme.

Die Fraktion „Die Linke im Europäischen Parlament - GUE/NGL“ gehörte nicht zu den Einbringern der Entschließung, doch gab es auch aus ihren Reihen Unterstützung: Vier Abgeordnete stimmten mit Ja, zehn votierten mit Nein, 15 enthielten sich. Da sich an der Abstimmung 29 Abgeordnete der insgesamt 38 Fraktionsmitglieder beteiligten - nicht abgestimmt hatte u.a. Martina Michels von der Partei DIE LINKE - enthielt sich somit die Mehrheit der Fraktion bzw. stimmte der Entschließung sogar. Die Zahl der ablehnenden Voten blieb damit klar in der Minderheit.

Hier das Stimmverhalten der Abgeordneten der Linken im Einzelnen: Mit Ja stimmten Malin Björk (Linkspartei, Schweden), Luke Flanagan (Unabhängig, Irland), Silvia Modig (Linksbündnis, Finnland) und Nikolaj Villumsen (Einheitsliste – Die Rot-Grünen, Dänemark)

Dagegen waren Marc Botenga (Partei der Arbeit, Belgien), Clare Daly (Unabhängige für den Wandel, Irland), Özlem Demirel (DIE LINKE, Deutschland), Niyazi Kizilyürek (Fortschrittspartei des werktätigen Volkes AKEL, Zypern), Katerina Konečná (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, Tschechien) Sandra Brito Pereira (Portugiesische Kommunistische Partei), João Pimenta Lopes (Portugiesische Kommunistische Partei), Martin Schirdewan (DIE LINKE, Deutschland), Miguel Urbán Crespo (Unidad Podemos, Spanien) und Mick Wallace (Unabhängige für den Wandel, Irland)

Enthalten haben sich Konstatinus Arvanitis (Syriza, Griechenland), Manon Aubry (LFI, Unbeugsames Frankreich), Leȉila Chaibi (LFI, Unbeugsames Frankreich), Cornelia Ernst (DIE LINKE, Deutschland), José Gusmão (Linksblock, Portugal), Anja Hazekamp (Partei für die Tiere, Niederlande), Stelios Kouloglou (Syriza, Griechenland), Elena Kountoura (Syriza, Griechenland), Marisa Matias (Linksblock, Portugal), Marina Mesure (LFI, Unbeugsames Frankreich), Younous Omarjee (LFI, Unbeugsames Frankreich), Dimitros Papadimoulis (Syriza, Griechenland), Anne-Sophie Pelletier (LFI, Unbeugsames Frankreich), Maria-Eugenia Rodríguez Palop (Unidad Podemos, Spanien) und Helmut Scholz (DIE LINKE, Deutschland)

Alle Ja-Stimmen kamen aus der Gruppe „Nordische Grüne Linke“ (NGL), einer Gruppierung innerhalb der Fraktion in der skandinavische sowie irische Abgeordnete zusammengeschlossen sind. Bei der schwedischen Linkspartei und dem finnischen Linksbund handelt es sich um Parteien, die - aus kommunistischen Parteien hervorgegangen - bereits seit langem Umwelt und Feminismus als zentrale Anliegen haben. Mit dieser Agenda besetzen sie im Parteienspektrum ihrer Länder jene Stelle, die in kontinentaleuropäischen Parlamenten die Grünen einnehmen. Beide Parteien haben als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine jetzt die Aufgabe des jahrzehntelangen neutralen Status ihrer Länder akzeptiert und dem Beitritt von Finnland und Schweden zur NATO keinen Widerstand entgegengesetzt bzw. ihn sogar – wie in Finnland - gebilligt. Die Zustimmung der NGL zur Entschließung des Europaparlaments zeigt, dass die schwedische Linkspartei und der finnische Linksbund endgültig auf NATO – Kurs eingeschwenkt sind.         

Enthalten haben sich insbesondere Abgeordnete von Syriza und der Gruppierung Unbeugsames Frankreich (LIF), mit Cornelia Ernst und Helmut Scholz waren auch zwei Abgeordnete der Partei DIE LINKE darunter.

Serge Halimi, Chefredakteur der Zeitschrift Le Monde diplomatique, hat die unentschiedene Haltung der Linken zum Ukrainekrieg treffend beschrieben: „Die Linke in Europa und in den USA ist heute entweder Teil des Mainstreams oder eingeschüchtert. Zum Mainstream gehört sie, insofern sie die Strategie der NATO mitträgt, die für diesen Konflikt mitverantwortlich ist. Man kann der Linken zugutehalten, dass sie ein überfallenes Land unterstützen will, das jedes Recht hat sich zu verteidigen, sein Staatsgebiet mit den Mitteln seiner Wahl zu befreien und auch um ausländische Hilfe zu ersuchen. Allerdings unterstützt sie damit die Regierungen, gegen die sie eigentlich opponiert. Indem sich diese Linke in den Käfig einer neuen 'heiligen Allianz' begibt, verzichtet sie auf jegliche politische Autonomie, auf die Artikulation eigenständiger Positionen.“ [3]  

Eine solche Autonomie kann die europäische Linke aber nur erreichen, wenn sie unmissverständlich eine Position wie die des Europäischen Parlaments zurückweist, in der mit Russland eine Kriegspartei allein verantwortlich für die entstandene Situation gemacht wird und das Land darüber hinaus sogar als „Terrorstaat“ dämonisiert wird. An der Ablehnung einer solch destruktiven Position hat es aber bei der Fraktion der europäischen Linken gefehlt. Einige ihrer Abgeordneten haben zugestimmt und die Mehrheit hat versucht, sich durch Enthaltung wegzuducken.  

 

[1] Gemeinsamer Entschließungsantrag zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas vom 18.09.2019

[2] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23.11.2022 zur Einstufung der Russischen Föderation als dem Terrorismus Vorschub leistender Staat

[3] Serge Halimi, Atlantiker, Blockfreie und Antiimperialisten – Die Fraktionen der internationalen Linken und Putins Krieg, in: Le Monde Diplomatique, November 2022, S. 12

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