Fleisch - ein Klimakiller?

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Der Artikel basiert auf einem Vortrag der Autorin zu diesem Thema am 17. Januar 2020 im MEZ Berlin.

Die Fleischproduktion steht in der Kritik. Sie wird verdächtigt, eine der wichtigsten Ursachen für die Erwärmung des Erdklimas zu sein. Was aber würde eine Verringerung des Fleischkonsums oder gar ein Verzicht auf Fleisch in den hoch entwickelten Ländern zur Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase beitragen?

Seit nunmehr 10 Jahren gibt es anlässlich der Grünen Woche in Berlin Demonstrationen unter dem Motto "Wir haben es satt!", so zuletzt am 18. Januar 2020. Gefordert wird dabei neben artgerechter Tierhaltung auch weniger Fleischkonsum. (1)

Inzwischen widmet sich auch die an der Fridays for Future orientierte Bewegung FleischFrei For Future diesem Thema. Im August 2019 startete sie einen Aufruf zur Unterstützung einer an den Deutschen Bundestag gerichteten Petition. Darin heißt es: " Der Fleischkonsum ist ein Klimakiller und ist für unfassbares Tier - und Menschenleid und das Artensterben sowie Seuchenentstehung verantwortlich! (...) Durch den Verzicht auf Fleisch können wir die derzeitige klimatische Entwicklung deutlich zum Positiven beeinflussen." Bislang haben sich 236 Unterstützer gefunden. (2)

Doch wie hoch ist der Anteil der Fleischproduktion an den klimaschädlichen Treibhausgasen wirklich? Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst notwendig, Entstehung und Wirkung der Klimagase zu beschreiben.

Was sind Treibhausgase?

Zu den relevanten Treibhausgasen in Deutschland gehören Kohlendioxid (CO2) mit einem Anteil von 88,2 Prozent an der gesamten Treibhausgas-Freisetzung, gefolgt von 6 Prozent Methan (CH4), 4,2 Prozent Lachgas (N2O) sowie 1,7 Prozent fluorierte Gase. Den größten Einfluss auf die Treibhausgas-Emissionen haben die Sektoren Energie, Industrie und Verkehr. Die Landwirtschaft ist für etwa sieben Prozent der Gesamtemissionen verantwortlich. (3)

Böden und Wälder bilden die größten terrestrischen Speicher, sogenannte „Senken“ für CO2. Sie sind gleichzeitig aber auch eine der wichtigsten natürlichen Quellen für die Abgabe von CO2 in die Atmosphäre. Seit Beginn der Industrialisierung sowie der großflächigen Rodung von Wäldern, um dadurch landwirtschaftliche Nutzflächen zu erhalten, hat sich der Ausstoß von Treibhausgasen vervielfacht.

Die wichtigsten natürlichen Treibhausgase sind Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Ozon (O3), Methan (CH4), Lachgas (Distickstoffoxid, N2O) sowie die ausschließlich anthropogenen, das heißt von Menschen erzeugten, als Kälte- oder Lösungsmittel verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). (4)

Kohlendioxid (CO2) entsteht fast ausschließlich bei der Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Erdgas oder Erdöl. In Deutschland ist der CO2-Ausstoß mit 37,8 Prozent am höchsten in der Energiewirtschaft, gefolgt von der Industrie (20,7 Prozent), dem Verkehr (18,2 Prozent) und von Haushalten (10,2 Prozent). In der Landwirtschaft ist er mit 7,8 Prozent eher gering. (5)

Die Hauptquellen von Lachgas (N2O) sind stickstoffhaltige Düngemittel wie Mist, Gülle und industriell hergestellter Dünger sowie Gärreste aus Biogasanlagen und Prozesse in der chemischen Industrie. Lachgas entsteht auch beim Verbrennen fossiler Brennstoffe. Vor allem aber wird es während der Lagerung und Behandlung tierischer Exkrementen aus landwirtschaftlicher Nutztierhaltung sowie nach ihrer Ausbringung produziert und freigesetzt.

Methan (CH4) entsteht durch Abbau von organischem Material unter Luftabschluss, z.B. in Mülldeponien, Klärwerken und beim Nassreis-Anbau sowie durch Freisetzung in Feuchtgebieten und Ozeanen und durch Fermentationsprozesse in den Mägen von Wiederkäuern. (6)

Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft

In Deutschland wird auf etwa 16,7 Millionen Hektar, also auf knapp der Hälfte des gesamten Gebietes Landwirtschaft betrieben. Mit ca. 71 Prozent macht dabei der Ackerbau den größten Anteil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus. Auf 10 Millionen Hektar, das ist mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche Deutschlands, wird Futter für Nutztiere erzeugt. Dies geschieht durch Grünlandnutzung, durch Ackerfutterkulturen wie Weizen und Gerste sowie Mais, der vor allem als Silomais in der Fütterung von Rindern und Schweinen zum Einsatz kommt. Eiweißreiche Futtermittel wie Soja müssen dagegen importiert werden. (7)

Die Landwirtschaft in Deutschland trägt maßgeblich zur Emission klimaschädlicher Gase bei. Dafür verantwortlich sind vor allem Methan-Emissionen aus der Tierhaltung, das Ausbringen von Wirtschaftsdünger (Gülle, Festmist) sowie Lachgas-Emissionen aus landwirtschaftlich genutzten Böden als Folge der Stickstoffdüngung, sowohl mineralisch wie organisch. Rund 60 % der gesamten Methan (CH4)-Emissionen und 80 % der Lachgas (N2O)-Emissionen in Deutschland entstammen der Landwirtschaft. Im Jahr 2017 war sie somit für insgesamt 66,3 Millionen Tonnen (Mio. t) Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente verantwortlich. Das sind 7,8 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen des Jahres. Die Emissionen aus der Landwirtschaft liegen somit hinter den CO2-Emissionen der Energiewirtschaft (37,8 %), der Industrie (20,7 %), des Verkehrs (18,2 %) und der Haushalte (10,2 %). (8)

Treibhausgase in der Lebensmittelproduktion

Vergleicht man die Treibhauseffekte bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, hat Winterweizen den geringsten Anteil, gefolgt von Milch, Schweinefleisch und Rindfleisch von ehemaligen Milchkühen. Käse hat den höchsten, Rindfleisch von Ochsen und Bullen den zweithöchsten Anteil an Treibhausgasen. Die Reihenfolge bezieht sich auf konventionell hergestellte Produkte. Der Treibhausgasanteil der im Biolandbau produzierten Produkte liegt - mit Ausnahme von Ochsen- und Bullen-Fleisch - niedriger. (9)

Jeder Deutsche isst durchschnittlich ungefähr 60 Kilo Fleisch pro Jahr. Langfristig betrachtet ist der Konsum stark gestiegen. Im Vergleich zu den 1950er Jahren liegt er heute ungefähr doppelt so hoch. Seit einigen Jahrzehnten ändert sich der Pro-Kopf-Verzehr in Deutschland nur noch wenig. (10)

Den ersten Platz beim Ausstoß von CO2 nimmt aber nicht Fleisch sondern Butter ein. (11) Da für deren Produktion sehr viel Milch benötigt wird, müssen entsprechend viele Kühe gehalten werden. Schon bei der Futterproduktion werden viele Treibhausgase frei. Im Verlauf ihres Lebens stoßen die Tiere dazu jede Menge Methangas aus, ein Treibhausgas, das wesentlich schädlicher ist als CO2. Gemäß dem Sachverständigenrat für Umweltfragen erfordert die Herstellung eines Kilogramms Butter bei konventioneller Tierhaltung bis zu 24 Kilogramm CO2-Äquivalente.

Rindfleisch nimmt den zweiten Platz ein. Rund 13 Kilogramm CO2 - Äquivalente gehen in die Luft, bevor ein Kilo Rindfleisch auf dem Rost oder im Kochtopf landet. Zwar ist die Bilanz besser als bei Butter, unter anderem weil Schlachtrinder eine kürzere Lebensdauer haben als Milchkühe. Dennoch ist die Belastung für das Klima bei keiner Fleischsorte so hoch wie beim Rind.

Käse folgt auf Platz drei. Je weniger Fett der Käse enthält, desto klimafreundlicher ist er. Ein rheinhessischer Handkäse mit weniger als einem Prozent Fett hat einen deutlich kleineren ökologischen Fußabdruck als mancher Camembert mit einem Fettanteil von 70 Prozent. Im Schnitt werden für die Produktion aber immer noch 8,5 Kilo CO2 -Äquivalente benötigt, um ein Kilogramm Käse herzustellen.

Auf Platz vier finden sich Schweinefleisch und Geflügel. Schweine und Hühner produzieren in ihren Mägen kein Methangas. Die Klimabilanz von Hähnchenkeulen und Schnitzeln vom Schwein ist daher deutlich besser als beim Rindersteak. Mit 3,3 Kilogramm CO2 - Äquivalenten pro Kilogramm Hähnchen- und Schweinefleisch aus konventioneller Haltung fällt im Schnitt nur ein Drittel an Treibhausgasen an. Allerdings sind auch diese Nutztiere ein Problem: Weil sie ihr Futter gut verwerten und daher günstig in der Aufzucht sind, steigt die weltweite Nachfrage nach Geflügel und Schweinefleisch an.

Die beste CO2 -Bilanz unter den Grundnahrungsmitteln hat frisches Gemüse, bei dessen Produktion im Schnitt nur 0,15 Kilo CO2 -Äquivalente anfallen. Für frische Tomaten sind es aber immerhin noch 0,3 Kilo CO2 -Äquivalente.

Globale Auswirkungen der Fleischproduktion

Ein erheblicher Anteil der in der EU benötigten Futtermittel wird importiert, vor allem aus den USA, Brasilien und Argentinien, in geringerem Umfang aber auch aus Paraguay, Kanada, Bolivien und Uruguay. Vor allem Soja wird importiert. In der EU werden dagegen nur sehr geringe Mengen an Sojabohnen - diese allerdings im Unterschied zu den großen Export-Ländern ausschließlich "Gentechnikfrei" - angebaut. (12)

Problematisch ist die Trennung zwischen Futtermittelproduktion und Fleischerzeugung. Während die mitteleuropäische Landwirtschaft etwa drei Fünftel ihrer Erlöse aus der Veredelungswirtschaft - d.h. der Umwandlung pflanzlicher in höherwertige Tierprodukte - erzielt, entfällt in den südamerikanischen Exportländern meist weniger als ein Fünftel des Produktionswerts der Landwirtschaft auf die Veredelungswirtschaft. (13) Dasselbe gilt auch für Kakao, Kaffee, Tee oder Palmöl, die aus Entwicklungsländern in Industriestaaten exportiert werden, wo durch die Verarbeitung dieser Produkte zu Lebensmitteln eine hohe Wertschöpfung stattfindet.

Der Export der in den Ländern der Europäischen Union (EU) hergestellten tierischen Verarbeitungsprodukte wird von der Union massiv unterstützt. Der Gesamtexport der EU von Schweine-, Rind-, Geflügel- und Schaffleisch einschließlich Nebenerzeugnissen und lebender Tiere belief sich 2018 auf 6,51 Millionen Tonnen Schlachtgewicht. Die gesamten Fleischeinfuhren der EU hingegen lagen nur bei 1,33 Millionen Tonnen. (14)

Die Folge davon ist unter anderem, dass die subventionierten europäischen Agrarprodukte, insbesondere Fleisch, Schlachttiere und Milchprodukte, weltweit zu Dumpingpreisen verkauft werden können. Vor allem afrikanische Landwirte leiden unter dieser Politik.

Nach Ansicht des Politikers und Agrarexperten Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf „versuchten sowohl Politik als auch Agrarindustrie, das auch noch als Beitrag zur Bekämpfung von weltweitem Hunger und Klimawandel zu verkaufen. Sowohl im Bereich der Markt-Regeln als auch speziell bei den Agrargeldern verschärften Berlin und Brüssel derzeit die Ausrichtung auf den Export insbesondere von Fleisch, Schlachttieren und Milchprodukten.“ (15)

Graefe zu Baringdorf weist darauf hin, dass die beabsichtigte deutliche Erhöhung der Ausfuhren von Fleisch- und Milchprodukten aus Europa die Probleme verschärft, statt zu helfen sie zu lösen. "Schon jetzt ist Europa und besonders Deutschland ein Netto-Importgebiet von Futter- und Lebensmitteln. Jede Tonne Schweinefleisch oder Milchpulver, die zusätzlich exportiert werden soll, erfordert ein Vielfaches an Futtermittelimporten. Unsere Exporte treten damit in direkte Konkurrenz zur menschlichen Ernährung und verschärfen damit direkt oder indirekt den Hunger von derzeit schon fast einer Milliarde Menschen weltweit." (16)

Tatsächlich fördern die hohen Subventionen für die Landwirtschaft und der gleichzeitige Schutz des EU-Agrarmarktes eine hohe Fleischproduktion in Europa. Traditionelle Fleischexportländer wie Argentinien, Brasilien, Uruguay werden dadurch benachteiligt. Noch im 19. Jahrhundert ermöglichten, zunächst in Uruguay, dann auch in Argentinien, große Rinderherden sowie geringe Lohnkosten nicht nur einen hohen Fleischverzehr im eigenen Land sondern auch den Export zu günstigen Preisen - zunächst in Form von hochkonzentriertem Rindfleischextrakt (Liebigs Fleischextrakt) sowie nach 1945 auch als  Frischfleisch in Kühlschiffen.. Argentinien wurde so nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zu einem der reichsten Länder der Welt. (17)

Die nach Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten "exportierten" Ackerflächen stehen in den Erzeugerländern für den Eigenbedarf nicht mehr zur Verfügung. Auf den Anbauflächen für Futtermittel können somit kaum noch Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung angebaut werden. Soziale Auswirkungen wie Hunger und Landflucht sind die Folge. (18)

Die führenden Rindfleisch-Exportländer waren im Jahr 2019 Brasilien mit 2,25 Millionen Tonnen (Mio. t), gefolgt von Australien (1,7 Mio. t), Indien (1,6 Mio. t) USA (1,4 Mio. t), Argentinien (0,7 Mio. t) und Neuseeland (0,65 Mio. t). (19) In Deutschland stieg die exportierte Rindfleischmenge 2019 um 0,9 Prozent auf 1,1 Mio. t an. (20) Das ist mehr als der Wert des sehr viel größeren Agrarlandes Argentinien.    

Vernichtung von CO2 -Senken durch Futtermittelanbau

Der Bedarf an Flächen für den Anbau von Futtermitteln nimmt in den Exportländern zu. Erst die Rodung - beispielsweise von Regenwäldern - schafft die dafür notwendigen zusätzlichen Flächen für den Anbau. Die Zerstörung derartiger Lebensräume verursacht aber weitreichende Belastungen für das Klima, die Böden, den Wasserhaushalt und die biologische Vielfalt.

So wird mit der fortschreitenden Brandrodung des Amazonas-Regenwaldes zur Schaffung von Acker- und Weideland derzeit die größte CO2-Senke der Welt zerstört. (21) Laut Daten des brasilianischen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) wurden 9.166 Quadratkilometer Amazonaswald allein im Jahr 2019 vernichtet – das entspricht mehr als der zehnfachen Fläche Berlins.

Der Amazonas-Regenwald ist ein Politikum. Tatsächlich ist er das größte zusammenhängende Urwaldgebiet, das gut ein Fünftel des Sauerstoffs den wir atmen produziert. Er ist „die grüne Lunge der Erde“. Doch die Bedeutung der gut dreieinhalb Millionen Quadratkilometer Urwald, die zu sechzig Prozent auf brasilianischem Territorium liegen, geht weit darüber hinaus: Kein anderes Waldgebiet der Erde beherbergt so viele Tier- und Pflanzenarten, keines nimmt so viel Kohlendioxid aus der Luft auf und speichert es im Boden und in der Vegetation, und kein anderes Gebiet ist so reich an indigenen Völkern – Eingeborene, die eine zentrale Rolle als „Wächter des Waldes“ spielen, weil sie ein natürliches Interesse daran haben, die Funktionen des Waldes intakt zu erhalten.

Die Indigenen haben aber meist keine Landrechte, sie leben in sogenannten Schutzgebieten. Wo sie zu Hause sind, beträgt die Entwaldungsrate nur ein Elftel des Landesdurchschnitts. Die Satellitenaufnahmen der etwa 73.000 Brände in den ersten sieben Monaten des Jahres 2019 zeigen, dass sich die Brandrodung vor allem an den Rändern der Schutzgebiete konzentriert. Der Raubbau ist deshalb nicht nur eine ökologische, sondern auch eine humanitäre Katastrophe. Waldbrände gab es nach dem berühmten „Erdgipfel“ von 1992 jedes Jahr am Amazonas. Dazu kommen Kahlschläge für Minen, Dämme, Straßen, Zuckerrohr- und Sojafelder.

Angesichts der fortschreitenden Abholzung des Amazonas-Waldes setzte Norwegen im August 2019 seine Fördergelder zum Waldschutz in Brasilien in Höhe von 33 Millionen US$ aus. (22) Kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz im Dezember 2019 in Madrid verlangte Brasilien mindestens zehn Milliarden pro Jahr aus der internationalen Klimaschutz-Finanzierung: "Uns stehen mindestens zehn Milliarden pro Jahr zu", sagte der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles in einem Interview der Zeitung Folha de S. Paulo: "Brasilien ist das Land mit dem größten tropischen Regenwald der Welt und ein Vorbild für Nachhaltigkeit." (23)

Das staatliche Klimainstitut Inpe berichtete allerdings, dass mit den 2019 vernichteten 9.166 Quadratkilometern Regenwald deutlich mehr Fläche abgeholzt wurde als im Jahr zuvor. 2018 waren es erst 4.946 Quadratkilometer gewesen. Das entspricht einem Anstieg von 85 Prozent. Allein im Dezember 2019 wurden demnach 183 Prozent mehr Wald gefällt als im Vorjahresmonat. Umweltminister Ricardo Salles hatte den sich schon länger abzeichnenden Anstieg lediglich auf „illegale Wirtschaft“ zurückgeführt.

Die brasilianische Regierung hatte das staatliche Klimainstitut in den vergangenen Monaten mehrfach wegen der hohen Zahlen kritisiert. Nachdem das Institut für Juli 2019 einen Zuwachs um 278 Prozent und für August von 222 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angegeben hatte, entließ Bolsonaro den Leiter des Instituts Ricardo Galvao. Galvao habe überhöhte Zahlen publiziert, um Bolsonaro zu schaden, hieß es. Später erwiesen sich die Zahlen jedoch als korrekt. (24)

Eine Auswertung hochauflösender Satellitenbilder hat gezeigt, dass seit dem Jahr 2000 im Schnitt jährlich 20.000 Quadratkilometer Regenwald verlorengegangen sind, mit Höchstwerten 2016 und 2017. 2018 waren es geschätzt noch eine weitere halbe Milliarde Bäume. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hatte sich Brasilien verpflichtet, bis 2030 mindestens 120.000 Quadratkilometer Wald neu zu pflanzen, 76 Millionen Bäume sollen es bis 2023 sein. Das aber sind fast immer ökologisch wertlose Eukalpytus-, Pinien- und Kautschukplantagen. Nach dem Amtsantritt der Regierung Bolsonaro im Januar 2019 ist die Abholzungsrate nach oben geschnellt und weite Bereiche der ehemaligen Amazonas-Wälder wurden in Viehzucht oder Sojaanbaugebiete umgewandelt.

Klimapolitisch sind die Waldverluste eine Katastrophe – auch regional, denn der Urwald produziert die Hälfte des Regens in der Region. Südamerika droht deshalb großflächig auszutrocknen, sollte ein Viertel der ursprünglichen Urwaldfläche verlorengehen (bis jetzt sind bereits 16 Prozent verschwunden). Wird der „Kipppunkt“ überschritten, dürfte sich ein großer Teil des Amazonasbeckens zur Savanne verwandeln und die Rolle als weltweit größter natürlicher Klimapuffer verlieren.

Auswirkungen des Freihandels

Mit dem zwischen der EU und den im südamerikanischen Bündnis MERCOSUR (Mercado Común del Sur) vereinten Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay abgeschlossenen Handelsabkommen wurde die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. (25)

Die Mercosur-Staaten haben traditionell eine Überproduktion von Agrarprodukten wie Fleisch, Soja, Kaffee, Getränke (Weine, Champagner, Spirituosen, Erfrischungsgetränke) und Tabak, während Europa daran interessiert ist, Fahrzeuge, Maschinen, Arzneimittel, Chemikalien und Transportmittel zu verkaufen. Die EU würde von den Kostensenkungen profitieren, die in den nächsten zehn Jahren durch die Absenkung der Zölle für Fahrzeuge (derzeit 35%) und Arzneimittel (14%) entstehen sollen.

Das Mercosur-Abkommen könnte aber zugleich zur weiteren Zerstörung der Wälder des Amazonas und zur Umwandlung von noch mehr Flächen in Viehzucht- und/oder Sojaanbaugebiete führen, denn der Export von Futtermitteln in die EU wird für die südamerikanischen Staaten durch den Wegfall der Zölle dafür günstiger. Und so ist es sicher kein Zufall, dass gegenwärtig mehr Flächen für den Futtermittelanbau geschaffen werden, denn ein Anstieg der der Gewinne dafür ist in Sicht. (26)

Konsequenzen

Aufgrund der nach Europa verlagerten Fleischproduktion verbleibt den traditionellen fleisch-produzierenden Ländern wie Argentinien und Brasilien nur eine stark verringerte Wertschöpfung. Stattdessen expandiert in diesen Ländern der großflächige Futtermittelanbau. Dafür werden Wälder im großen Stil abgeholzt, was eine Gefährdung der "grünen Lungen" des Globus zur Folge hat. Dieselben Konsequenzen hat der Anbau von Ölpalmen in Indonesien und Malaysia, wo 90 Prozent der weltweiten Produktion an Palmöl stattfindet.  Auch der Anbau von Kaffee- und Kakaopflanzen in Ländern der Dritten Welt erfolgt auf Kosten der dort noch vorhandenen Wälder.

Gestärkt werden müsste in den Ländern, die derzeit vor allem Rohstoffe für den Export produzieren, die Wertschöpfung durch Nutzung der dort produzierten Futtermittel wie Soja und Mais für die Fleischproduktion im eigenen Land. Dadurch würden sich die Gewinne für die Bauern und Agrarbetriebe in diesen Ländern erhöhen. Auf diese Weise könnte der Druck vermindert werden, zur Aufrechterhaltung der Einkommen immer mehr Waldflächen in Anbauflächen für Futtermittel umwandeln zu müssen.  

Die Industrieländer müssten ihre Anteile an der Gesamtverantwortung für den Erhalt der Urwälder der Welt durch Ausgleichszahlungen an die Entwicklungsländer übernehmen. Beispiele dafür sind der Norwegen-Fond, Spaniens Unterstützung ehemaliger Kolonien in Lateinamerika und Frankreichs Förderung von Ländern mit mittleren Einkommen wie beispielsweise Brasilien. (27) Im Gegenzug müssten sich die Entwicklungsländer auch im eigenen Interesse verpflichten, die Umwandlung von Urwald in Agrarflächen aufzugeben.

Fazit

Fleisch an sich ist kein „Klimakiller“, so wenig wie es Butter ist, für deren Herstellung sogar noch mehr CO2-Äquivalente als für Rindfleisch anfallen. Niemand fordert aber allein deshalb eine Einschränkung des Verzehrs von Butter. Fleisch wird in den entwickelten Ländern auch nicht in Übermaßen konsumiert. Der pro-Kopf Verbrauch steigt hier schon seit Jahren nicht mehr. Fleisch ist nahrhaft und gesund. Es kann eine Delikatesse sein. Niemand sollte auf diesen Genuss verzichten müssen.

Klimaschädlich ist allerdings die Art und Weise wie Fleisch gegenwärtig produziert wird. Schädlich ist die Konzentration der Fleischerzeugung vor allem in den Ländern der EU, die dafür große Mengen von Futtermitteln importieren. Hierin liegt eine der wichtigsten Ursachen für die zunehmende Zerstörung tropischer Regenwälder. Aufgehoben werden müssen daher die hierfür verantwortliche Freihandelspolitik und die hohe Subventionierung der europäischen Landwirtschaft durch die EU. Dies aber sind politische und damit soziale Fragen.

Quellen:

(1) Agrarwende anpacken! 18.01.2020 Demo, in: www.wir-haben-es-satt.de

(2) Open Petition an Deutscher Bundestag Petitionsausschuss, FFFF, FleischFrei For Future, August 2019; https://www.openpetition.de/petition/online/fleischfrei-for-future, abgerufen am 17.02.2020

(3) Die Treibhausgase, in: Bundesumweltamt, 06.06.2019; https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/treibhausgas-emissionen/die-treibhausgase

(4) Treibhausgase; https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Treibhausgase
(5) Deutschland stößt zuviel CO2 aus, in: NDR, 28.05.2019; https://www.ndr.de/ratgeber/klimawandel/CO2-Ausstoss-in-Deutschland-Sektoren,kohlendioxid146.html

(6) Lachgas und Methan, in: Umweltbundesamt (UBA), 19.06.2019; https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/lachgas-methan

(7) Was wächst auf Deutschlands Feldern, in: Bundesinformationszentrum Landwirtschaft; https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-foerster-und-pflanzenbauer/was-waechst-auf-deutschlands-feldern/, abgerufen am 21.01.2020

(8) Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen; https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas, Umweltbundesamt, 25.04.2019
(9) foodwatch-Report: Klimaretter Bio?; https://www.foodwatch.org/uploads/media/foodwatch-Report_Klimaretter-Bio_20080825_01.pdf

(10) Fleischkonsum, Umwelt und Klima, in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), 19.09.2019; https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/fleischkonsum-umwelt-und-klima/

(11) Diese Lebensmittel sind die größten Klimakiller, in: SWR Fernsehen Marktcheck; 14.02.2019; https://www.swrfernsehen.de/marktcheck/hintergrund/CO2-Bilanz-auf-dem-Teller-Diese-Lebensmittel-sind-die-groessten-Klimakiller,article-swr-5774.html

(12) Futtermittel – ohne Sojaimporte geht es nicht, in: transgen, 26.03.2019;
https://www.transgen.de/lebensmittel/1049.futtermittelimporte-europa-sojabohnen-gentechnik.html

(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Veredelung_(Landwirtschaft), abgerufen am 08.02.2020

(14) Handel trübt sich ein, in: Redaktion Fleischwirtschaft.de, 12.03.2019; https://www.fleischwirtschaft.de/wirtschaft/nachrichten/EU-Fleischexporte-Handel-truebt-sich-ein-38808?crefresh=1

(15) Graefe zu Baringdorf, Export-Weltmeister ohne Rücksicht auf Verluste, 13.01.2010; https://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Agrarpolitik/Export-Weltmeister-ohne-Ruecksicht-auf-Verluste_article1263388035.html

(16) ebenda
(17) Die Geschichte von Liebigs Fleischextrakt; http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2004/1381/pdf/SdF-2003-1_2b.pdf

(18) Fleischkonsum, Umwelt und Klima, in: BMU, 19.09.2019; https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/fleischkonsum-umwelt-und-klima/

(19) Exportmenge der führenden Exportländer von Rindfleisch weltweit in den Jahren 2015 bis 2020, in: Statista; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/245664/umfrage/fuehrende-exportlaender-von-rindfleisch-weltweit/

(20) Fleischerzeugung: Produktion 2019 leicht gesunken, in: Fleischwirtschaft.de, 05.02.2020; https://www.fleischwirtschaft.de/wirtschaft/nachrichten/Fleicherzeugung-Produktion-2019-leicht-gesunken-41174

(21) Zehnmal die Fläche von Berlin, in: FAZ.net, 15.01.2020; https://www.faz.net/aktuell/wissen/braende-im-regenwald-das-oekologische-endspiel-am-amazonas-16349220.html
(22) Amazonas: Norwegen setzt Zahlungen zum Regenwaldschutz aus, in: ZEIT ONLINE, 16.08.2019;
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/amazonas-fonds-norwegen-zahlungen-regenwald-abholzung-brasilien

(23) Brasilien will Milliarden, in: FAZ vom 30.11.2019

(24) Brasilien: Ausmaß der Regenwald-Abholzung hat deutlich zugenommen, in: faz.net; 15.01.2020
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/brasilien-ausmass-der-regenwald-abholzung-hat-deutlich-zugenommen-16582303.html
(25) Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den MERCOSUR-Staaten, in: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI), abgerufen am 12.022020; https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/assoziierungsabkommen-zwischen-der-eu-und-den-mercosur-staaten.html

(26) EU-Mercosur-Abkommen: Eine umfassende Analyse, in: Treffpunkt Europa, 05.11.2019;
https://www.treffpunkteuropa.de/eu-mercosur-abkommen-eine-umfassende-analyse?lang=fr

(27) Europäische Staaten konzentrieren Entwicklungshilfe auf ihre Ex-Kolonien, in: Europäische Staaten konzentrieren Entwicklungshilfe auf ihre Ex-Kolonien, 22.04.2015; https://www.euractiv.de/section/entwicklungspolitik/news/europaische-staaten-konzentrieren-entwicklungshilfe-auf-ihre-ex-kolonien/

 

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