Kann man „Eigentum neu denken“?

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Rezension des Buches von Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2016, 292 Seiten, 19,95 Euro

Für Marx waren »Exploitationsgier und Herrschsucht« die Antriebskräfte der Kapitalisten. Daran hat sich nichts geändert. In ihrem neuen Buch »Reichtum ohne Gier« beschreibt Sahra Wagenknecht anhand von Beispielen, wie diese Gier zur Verrohung der Sitten, zu kultureller Eintönigkeit, politischem Rückschritt, ja zu nacktem Elend führt. Sie widerlegt die Behauptung, dass der Kapitalismus unentbehrlich für Innovationen sei. Das Gegenteil ist der Fall: Unter ihm verkümmern technologische Potentiale, wird menschliche Kreativität vergeudet und werden alternative Wege hin zu einem besseren Leben erst gar nicht beschritten. Der destruktive Charakter der kapitalistischen Produktionsweise tritt immer deutlicher hervor. Zum Beweis dafür führt sie eine Vielzahl von Studien, Statistiken und Artikel an.

Wie schon in ihrem Werk »Freiheit statt Kapitalismus« (2011) klärt Wagenknecht auch in ihrem neuen Buch über die Übel des Kapitalismus auf. Immer mehr Menschen verstehen ihr Anliegen, verfolgen ihre Fernsehauftritte, kommen zu Tausenden zu ihren Vorträgen und lesen ihre Bücher. Sie steht damit ziemlich allein in der Linkspartei. Dort beschränkt sich der übliche politische Horizont der Parteifunktionäre auf eine Zusammenarbeit mit SPD bzw. Grünen, mit denen dann das Ungenügende verwaltet wird. Wenn es gut geht, ein wenig sozialer und ökologischer als zuvor.

Sahra Wagenknecht sieht da weiter, etwa wenn es um Europa geht. Sie glaubt nicht an die Mär einer demokratischen und sozialen EU: »Manche fordern (…), die Eurozone zu demokratisieren. Aber es sieht nicht danach aus, dass das ein erfolgversprechendes Projekt sein könnte. (…) Eine bessere Idee wäre es daher, den demokratischen Staaten ihre eigene Währung zurückzugeben und im Austausch mit anderen Währungen Kapitalverkehrskontrollen einzuführen.« An die Stelle des Eurosystems soll, angelehnt an einen Vorschlag von Keynes, ein europäisches Währungssystem mit festen Wechselkursen treten. Wagenknecht zieht damit die notwendigen Schlüsse aus dem Scheitern der griechischen Syriza-Partei. Der Untertitel ihres Buchs verspricht: »Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten«.

Da Kapitalismus auf privatem Eigentum an Produktionsmitteln beruht, muss sich jede Kritik an ihm mit der Eigentumsfrage befassen. Wagenknecht widmet ihr unter der Überschrift »Eigentum neu denken« ein eigenes Kapitel. Dass sie darin Aristoteles, Rousseau und Proudhon, nicht aber Marx und Engels nennt, dient ganz offensichtlich dem Anliegen, bei so manch unbedarftem Leser nicht gleich die altbekannten Vorurteile zu wecken. Zwar hatten sich schon Marx und Engels im Kommunistischen Manifest über den Vorwurf lustig gemacht, dass sie »erarbeitetes, erworbenes, selbstverdientes Eigentum« abschaffen wollten, wo es doch in Wirklichkeit »die Entwicklung der Industrie« ist, die es täglich abschafft, doch kann man diese, mit der Zentralisation und Konzentration des Kapitals einhergehende permanente Enteignung von Kleinkapital eben auch mit anderen Worten erklären. Und Wagenknecht gelingt dies so überzeugend, dass jeder kleine Restaurantbesitzer und Geschäftsinhaber und jeder Eigentümer eines auf Selbstausbeutung beruhenden Betriebs, der das Buch liest, einfach verstehen muss, dass nicht die Sozialisten seine Gegner sind, sondern das monopolisierte Kapital.

In den Mittelpunkt ihrer Kritik am kapitalistischen Eigentum stellt Wagenknecht das »haftungsbeschränkte Eigentum, wie wir es von der GmbH und der Aktiengesellschaft kennen, jene seltsame eigentumsrechtliche Konstruktion, die den Eigentümern zwar vollen Zugriff auf alle in einem Unternehmen erwirtschafteten Gewinne garantiert, sie aber für die eingegangenen Risiken nur in Höhe ihres anfänglich investierten Kapitals haften lässt«. Wagenknecht sieht in der Kapitalgesellschaft die »typische Eigentumsform des Kapitalismus, weil die Trennung von Anleger und Unternehmer die für diese Ordnung typische Form des Wirtschaftens ist«. Schon Marx beschrieb die »Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten«. Für ihn war dies »die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst«. Wagenknechts Kritik an den Aktiengesellschaften ist zu begrüßen, stellt diese doch zugleich eine Absage an immer wieder neu aufgewärmte Modelle für einen Volkskapitalismus dar, der sich auf breit gestreuten Aktienbesitz stützen soll.

Wenig Neues bietet das Buch im Hinblick auf die Frage, was denn nun an die Stelle der kapitalistischen Eigentumsordnung treten soll. Hier wird die Carl-Zeiss-Stiftung als Modell einer auf den Gemeinnutz orientierten Einrichtung präsentiert. Auch die Mitarbeitergesellschaft wird als Lösung genannt. All das kennt man aber schon aus alten sozialdemokratischen Vorschlägen. Solche Eigentumsformen, wie auch die Genossenschaften, bleiben immer Inseln im kapitalistischen Meer und werden irgendwann von ihm wieder überflutet. Auf keinen Fall aber soll nach Wagenknecht der Staat als Eigentümer an die Stelle der Kapitalisten treten. Hier zeigt sich eine antietatistische Haltung, die nur mit der Angst vor einer Identifizierung mit der realsozialistischen Vergangenheit erklärt werden kann. Ganz ohne Antwort bleibt schließlich der Leser, wie diese andere, bessere Welt, denn nun entstehen soll. Denn eines ist doch wohl klar: Freiwillig werden die Kapitalisten auf ihr Reichtum und Macht garantierendes Eigentum mit Sicherheit nicht verzichten. Dafür ist ihre Gier nun einmal unersättlich.

aus der Tageszeitung junge Welt vom 15. März 2016

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